Sonntag, 24. Mai 2009
Wintermusik im Frühsommer – Bon Iver in der Großen Freiheit 36
Donnerstag, 14. Mai 2009
Live noch immer eine Bank – Art Brut im Knust
Art Brut haben mit ihrem gerade erschienenen dritten Album Art Brut vs. Satan ein wenig enttäuscht, da der Wille zur Erneuerung fehlt. Man vertraut auf das alte Rezept: Eddie Argos deklamiert vor dem Hintergrund von rumpeligen Rockriffs geistreich-humoristische Texte über das Leben und die Liebe. An sich ist das auch noch immer gut, doch das Konzept ist ein wenig ausgelutscht. Vielleicht sollte sich Herr Argos – wie es Jan Wigger vorschlägt – dem Gedichteschreiben widmen. Doch dann gingen der Welt tolle Live-Konzert verloren. In der Tat bereute ich es keine Sekunde, nun bereits zum vierten Mal zu einem Konzert dieser Band gegangen zu sein. Von ihren Live-Qualitäten haben Art Brut nämlich nichts verloren. Eddie Argos, ein etwas aufgedunsener, recht hässlicher Londoner, und seine Band haben große Entertainerqualitäten. Um die Wünsche des Publikums und die eigene Stimmung zu berücksichtigen wird mal eben die Reihenfolge der Playlist umgeschmissen, zwischendurch werden passende lustige Geschichtchen erzählt. Herr Argos hatte (mal wieder) Rückenschmerzen, hat sich aber dennoch gut verausgabt.
Art Brut hat stark auf sein erstes Album vertraut, das fast komplett dargeboten wurde. Von den beiden Nachfolgern gab es jeweils nur das beste. So wollte es aber auch das Publikum. Sehr spaßig ist vor allem – neben den Songtexten an sich und den kleinen Anekdoten zwischendurch, wie Seitenhiebe gegen (erfolgreiche) andere Bands verteilt werden: übliche Verdächtige wie die Kaiser Chiefs, Razorlight, die Killers oder die Kings of Leon kriegen ihr Fett ab. Und natürlich U2 – der Geist des Song „Slap Dah For No Cash“ schafft es gleich auf das Band-T.Shirt: „Who wants to Sound like U2?“. Die Lieblinge kriegen dafür ein „top of the pops“!
Am Schluss schleppt sich Eddie Argos, demonstrativ vom Roadie gestützt, von der Bühne. Doch nicht nur er, auch die Zuschauer hatten sich verausgabt. Art Brut, top of the pops!
Montag, 11. Mai 2009
Long Distance Calling
Die Musik von Long Distance Calling wird gerne dem Genre Postrock zugeordnet, wie man im allgemeinen instrumentale Musik bezeichnet, die unter hauptsächlicher Zuhilfenahme vom klassischen Rockinstrumentarium gemacht wird und von der so erzeugten Stimmung lebt. Man möchte meinen, Konzerte einer solchen Band könnten langweilig sein, so ist es aber ganz und gar nicht. Nur weil nicht gesungen wird heißt das nicht, dass die Musik einen nicht mitreißen kann. Gerade Postrock macht vor allem Spaß, wenn er laut ist, diese Voraussetzung wird beim Konzert geschaffen. Wenn die Band sich dann – wie an diesem Abend im Knust – aufgrund des Zuspruchs des Publikums verausgabt, sich zu mehreren Zugabenrunden hinreißen lässt und so zeigt, warum sie in ihrer musikalischen Nische geschätzt wird, kann man mehr als zufrieden sein.
Samstag, 9. Mai 2009
Zwei Abende in Hamburgs schönsten Club
Am Donnerstag spielten The Indelicates in der Prinzenbar. Diese Band ist meiner Ansicht nach ein absoluter Geheimtipp. Deren Köpfe sind Simon Clayton und Julia Clark Lowes – auch Simon und Julia Indelicate genannt. Simon ist sicherlich einer der besten zeitgenössischen Songschreiber des Vereinigten Königreichs: seine Stücke handeln von Liebe, Leben und Popkultur. Gerade popmusikreferentielle Songs wie „Waiting for Pete Doherty to Die“ oder „If Jeff Buckley Had Lived“ sind echte Perlen. An diesem Abend durfte das recht spärlich erschienene Publikum von echten Fans Zeuge des perfekten Zusammenspiels der beiden Sänger sein, denn sie boten auf der Bühne der Prinzenbar ein Akustikset ohne weitere Bandmitglieder. Die Sache ist durchaus als Experiment zu verstehen, vieles ist spontan, neben den bekannten Stücken des einzigen, hervorragenden Albums American Demo, gibt es nicht nur den „Recession Song“ (zu hören auf der Myspace Seite – in Kooperation mit Mickey von Art Brut), sondern auch ein paar neue Stücke, die vor Publikum gestestet werden. Gerade das Spontane an diesem Auftritt und die kleinen Pannen („we wanted to practice, but then we foght very badly“) machen diese Band umso sympathischer. Auch die eigentlich rockigeren Stücke wie „America“ funktionieren als Akustikfassung übrigens sehr gut. Es sind weitere Akustikshows in Deutschland geplant – hingehen, wenn die Indelicates in Deine Nähe kommen!
Am folgenden Tag gab es noch einmal was Besonderes in der Prinzenbar: Die irische Popband Bell X1 spielte hier im Rahmen ihrer ersten europäischen Headliner-Tour. Bell X1 sind keine unbekannten und keine Newcomer. Sie ist 1999 aus der Band Juniper hervorgegangen, wo auch Damien Rice Mitglied war. Im Laufe der Zeit haben sie sich als eine der erfolgreichsten Bands Irlands etabliert, ihre beiden letzten Alben besetzten dort die Spitze der Charts. Der internationale Durchbruch (inklusive Auftritten in amerikanische Late-Night-Shows) begann mit ihrem vorletzten Album Flock, das 2008 auch in Deutschland erschien. Dabei geholfen haben sicherlich auch die Platzierung von Songs in Serien wie The O.C. und Grey’s Anatomy. Nun soll wohl über eine Clubtour das europäische Festland erobert werden. Immerhin werden sie hier vom Majorlabe Universal vertieben.
Man merkt Bell X1 die Bühnenerfahrung an. So wie Bell X1 in der Prinzenbar stelle ich es mir vor, wenn eine in Deutschland erfolgreiche Band wie Wir sind Helden einen Auftritt im Ausland nutzt, um mal wieder in einem kleinen Club auftreten zu können. Die Band weiß genau, wie man das Publikum in die Tasche steckt und welche Stücke gut ankommen. Die besten sind auch dem Publikum durchaus bekannt, viele werden durch Erkennungjubel begrüßt. Allerdings werden die Songs auch nicht einfach runtergespielt, es gibt teilweise längere Instrumentaleinlagen oder Percussion-Passagen – sowas sorgt natürlich auch immer für Stimmung. Der Musikexpress hat Bell X1 mal musikalisch auf halbem Weg zwischen Coldplay und Snow Patrol angesiedelt. Das ist sicherlich nicht ganz falsch, ich würde jedoch einfach sagen, dass die Band den Pfaden der irischen Sentimentalpoptradition folgt, von der Beispielsweise auch The Frames ein Vertreter sind. Wenn das Dudelradio sie entdeckt, gibt es vermutlich kein Entrinnen mehr.
Leider kam ich für die exzellente Vorband Duke Special zu spät, was ich sehr ärgerlich fand, doch ein Konzert am Freitagabend so früh beginnen zu lassen ist einfach nicht arbeitnehmerfreundlich.
Donnerstag, 7. Mai 2009
Anmut und Schönheit
So war es auch am Dienstag im Knust, da dort Great Lake Swimmers und Shearwater zu einer Double-Headliner Show auftraten. Den Beginn machten die in Toronto beheimateten Great Lake Swimmers. Die Band um Sänger Tom Dekker erinnert mit ihrer Musik an Vertreter der „Quiet ist the new loud“ Bewegung, an deren Spitze die Kings of Convenience standen. Die folkigen, eher ruhigen Lieder sind vor allem geprägt durch die sehr klare stimme des Sängers. Die Band übt sich auf der Bühne in Zurückhaltung, es wird nicht gerade viel mit dem Publikum kommuniziert. Das ist ein Auftritt der klar von der Musik lebt – da diese sehr schön ist, kann also nicht viel schief gehen. Die Stunde, welche die Band auf der Bühne verbracht hat, war dann aber auch genug. Mehr wäre wohl langweilig geworden.
Die Musik von Shearwater ist auch eher der ruhigen Art, doch der Auftritt dieser Band besitzt eine ganz andere Qualität. Shearwater könnte man als die Schwesterband von Okkervil River bezeichnen. Sie wurde von deren Mitgliedern Jonathan Meiburg und Will Sheff gegründet, um deren ruhigere, folkigere Ader auszuleben. Inzwischen haben sich die Wege getrennt, während Will Sheff nur noch Okkervil River seine Band nennt, ist Meiburg 2008 dort ausgestiegen und konzentriert sich auf Shearwater.
Dennoch ist die Verwandtschaft der Bands rauszuhören. Die Intensität der Musik Shearwaters ist dieselbe wie diejenige ihrer bekannteren Schwesterband. Nur sind die Songs eben ruhiger. Sie leben vor allem von der mächtigen Stimme ihre Sängers, die Band ist jedoch auch nicht von schlechten Eltern. Gerne wird auf Schlaginstrumente zurückgegriffen – neben dem Schlagzeug vor allem verschiedene Xylophone. Bei einigen Stücken wird mit 2 Bässen agiert, zudem wird die Palette durch Klarinette (vom Schlagzeuger gespielt) und die Trompete ergänzt. Schließlich hat Jonathan Meiburg eine starke Bühnenpräsenz und freut sich sichtlich auf der Bühne des Knust zu stehen, zumal seine Bands Ovationen des (recht überschaubaren) Publikums erntete. Das ist ein Abend, den man nicht so schnell vergessen wird.
Montag, 4. Mai 2009
Stimmungsvoll – Beirut im Docks
Es ist schon bemerkenswert, wie eine amerikanische Band wie Beirut durch postmodernes Aufgreifen und neu Zusammenfügen von traditionsverwurzelter Populärmusik – Ursprünge, je nach Schaffensphase, Balkan, französische Chanson, Mexiko – ihre musikalische Nische gefunden hat und einen solchen Anklang findet. Die Affinität für eher gegen Weltmusik tendierende Klänge hätte ich eher bei der zu Anfang genannten Zielgruppe erwartet. Allerdings erfreut sich ja auch seit längerer Zeit der Balkanpop mit dem Bucovina-Club, der Russendisko oder den Datscha-Parties zunehmend an Beliebtheit. Eine gewisse Verwandtschaft hiermit kann man bei Beirut sicherlich erkennen, auch wenn deren Musik sicher einen intellektuelleren Anspruch hat.
In Stimmung gebracht wurde das Publikum des Docks von der Ein-Mann-Vorband Alaska-in Winter, Teil des Zach Condon-Beirut-A-Haw-and-a-Hacksaw-Dunstkreises. Hier hat ein Musiker entschieden, seine ebenfalls von osteuropäischen Einflüssen bestimmte electrobehaftete Popmusik, unter Zuhilfenahme von multimedialen Accessoires alleine vorzutragen. Brandon Bethancourt hat offensichtlich alle Instrumente und Gesangsparts seiner Platten selbst eingespielt und lässt sich entsprechend auf der Bühne von einer aus sich selbst bestehenden Band begleiten. Dies geschieht über Projektionen seiner diversen Persönlichkeiten auf Leinwand, dazu wird – stets in passender Kleidung – mit Vocoderverzerrter Stimme gesungen. Eine originelle Art, auf sich aufmerksam zu machen. Gleichzeitig eine gute Einstimmung auf Beirut.
Diese werden vom Publikum mit frenetischem Jubel begrüßt. Beim opener „Nantes“ singt die ganze Halle mit – noch eine Überraschung, eine solche Textfestigkeit hätte ich nicht erwartet. Es folgen eine gute Stunde solide vorgetragener und enthusiastisch rezipierter Folklorepop. Die Musiker sind exzellent, Zach Condons Stimme ist live eine Wucht. Es geht quer durch das Werk der Band, dazwischen ein bemerkenswertes und sehr schönes Cover des Serge Gainsbourg Klassikers „La Javanaise“ (Original vs. Cover). Beeindruckend ist vor allem die starke Präsenz der Blechblasinstrumente, die auf Platte weniger auffällt – die ganze Palette ist vertreten, Trompete, Posaune, Horn, Tuba. Dafür erlebe ich mein erstes Popkonzert ohne Gitarre – weder E- noch akustisch. Immerhin kommt aber die Ukulele zum Einsatz. Zum Schluss kommt der Saal nicht aus dem Jubeln heraus, doch nach 4 Zugaben ist Schluss – auch wenn angesichts der Begeisterung im Docks augenscheinlich ein weiterer Bonus von der Band debattiert wurde – die ermatteten Musiker haben sich aber dann doch gegen den durchaus noch motivierten Bandleader durchgesetzt. Dennoch ein absoluter Erfolg!
Dieser Mitschnitt des Konzertopeners "Nantes" fängt die Stimmung ganz gut ein:
Hier noch schöne Fotos bei Flickr (nicht vom Hamburger Konzert).