Doch von so etwas lässt man sich natürlich nicht aus der Bahn werfen. Ein reichliches Frühstück, viel Kaffee und dann recht bald auch wieder Bier brachten uns wieder auf Vordermann, sodass wir wie geplant um 13:30 Uhr vor der Blauen Bühne bereitstanden, um uns The Rakes anzuschauen. Ich kenne diese Band inzwischen live nur zu gut, immerhin sah ich sie innerhalb von nicht einmal zwei Jahren bereits zum vierten Mal. Trotzdem ist es immer wieder ein Spaß, das ist Indierock vom feinsten aus UK. Ein recht heftiger Regenguss schmälerte das Vergnügen zwar ein wenig, doch das konnte man bei dem Auftritt hinnehmen. Das Leben ist ja kein Ponyhof.
Bei dieser Gelegenheit entdeckten wir einen Platz, an dem wir noch viel Zeit verbringen sollten – von einem großen Pavillon überdachte Biertische zwischen Fressbuden in Sicht- und Hörweite der blauen Bühne. Erstaunlicherweise fand man dort auch immer einen Sitzplatz, sodass wir dort einige Regengüsse überstanden oder teilweise unsere müden Beine schonten. Auch beim Konzert der Blood Red Shoes konnte mich deren eher rauer, doch sehr tanzbarer Rock nicht dazu bewegen, vor der Bühne einen erneuten Regenguss zu ertragen, sodass ich einen Großteil ihres durchaus hörenswerten Sets von unserem trockenen Refugium aus erlebte.
Nachdem noch ein paar Nachzügler zu uns gestoßen waren, begaben wir uns wieder näher an die Bühne (noch immer die blaue). Dort spielte nun die zweite Band des Tages, die ich schon zum vierten Mal live sah, The Wombats. Die drei Stimmungskanonen haben ein so sicheres Händchen für tanzbare Hits, dass keine Indieparty ohne „Kill the Director“ oder „Let’s Dance to Joy Division“ auskommt. Live kann jedenfalls nicht viel schiefgehen, zumal es das für den heutigen Tag mit dem Regen gewesen war (von ein paar weiteren Tropfen abgesehen). Es ist wieder Zeit zum Abgehen, dafür sind die Leute hergekommen. Natürlich gibt es alle Hits des bisher einzigen Albums, dazu zwei-drei neue Songs, die ebenso tanzbar sind wie die bekannten. Man kann sich also auf das hoffentlich bald erscheinende Album freuen. Zum Schluss gibt’s noch mal einen riesigen Pogokreis, bevor sich die Menge erschöpft wieder von dannen macht.
Zum Rasten bleibt nicht viel Zeit (wobei manch einer sich zu einem Päuschen zum Zelt zurückzieht). Ich dachte mir, ich könnte gemütlich Paolo Nutini anhören und dabei wieder Kräfte sammeln, doch Pustekuchen. Dabei kann man auch nicht still sitzen. Der gute Paolo ist zwar total hackedicht, doch das hält ihn und seine exzellente Begleitband nicht davon ab, ein famoses Set abzuliefern. Es swingt und groovt dahin, teilweise gibt es Reggaeeinflüsse, jedenfalls kann man nicht anders als Tanzen. Das war für mich die positive Überraschung des Festivals!
Nun ist jedoch wirklich Ruhe angesagt, denn die Musik der Fleet Foxes ist nicht zum Abgehen, eher zum Genießen gemacht. Die einen finden das langweilig und machen sich vom Acker (immerhin spielen auf der großen Bühne die Pixies – was die Fleet Foxes auch mehrmals ehrfurchtsvoll anmerken), andere (ich auch) finden das wunderschön. Die Fleet Foxes gehören zur aktuellen Folk-Revival-Bewegung in den USA, ihre Musik ist durchaus vergleichbar mit dem Falsettgesang von Bon Iver. Die Songs heißen „Blue Ridge Mountains“ oder „White Winter Hymnal“, doch bieten viel mehr als der Titel verspricht – einfach schön. Allerdings wäre auch dies eher was für den kleinen dunklen Club als für die sonnendurchflutete Nachmittagsbühne, zumal dort nicht so auffallen würde, dass es die Bartträger mit ihrer Natürlichkeit (Flanellhemden und mottenzerfressenen T-Shirts) ein wenig übertreiben.
Da das Set der Fleet Foxes relativ kurz ist, können wir uns noch den Rest der Pixies anschauen. Ist nicht der Rede Wert, ich fand’s langweilig, bin aber ohnehin nicht deren größter Fan.
Nun geht’s ins Zelt (benannt nach einem Hersteller eines Coffeinhaltigen Brausegetränks), wo Portugal.The Man gerade beginnen zu spielen, als wir eintreten. Auch dies ist nicht jedermanns Sache, doch ich fand es der Hammer. Das ist Prog vom feinsten, Stimmungen werden kreiert wie es nur diese Art von Gitarrenmusik kann. Zwar fällt irgendwann der Synthesizer aus, doch das stört keinen, die vier Alaskaner machen das mit Percussion wett. Mein Eindruck vom Reeperbahnfestival erhärtet sich, das ist eine super Live-Erfahrung – in der Tat habe ich auf Platte mit der Musik teilweise meine Schwierigkeiten. Große Kommunikatoren sind die Herrschaften übrigens nicht, der Sänger schaut nicht mal wirklich ins Publikum. Trotzdem super.
Bei mir war inzwischen die Luft raus, doch es war erst früh am Abend und das Festival hatte durchaus noch etwas Programm zu bieten. Ich entschied, mich weiter an das Programm der blauen Bühne zu halten und mir Ben Harper mit seiner neuen Band Relentless 7 anzusehen. Anfangs war ich etwas überrascht über den Sound – man kennt den guten Ben doch eher akustisch. Jetzt wird es Bluesrockiger, die Einflüsse der schwarzen Musik sind nicht zu überhören. Hier und da scheint gar der Soul durch. Ben Harper lässt sich für seine Virtuositäten nach fast jedem Stück eine neue Gitarre bringen, die er meist sitzend auf seinem Schoß liegend bespielt. Mit der Zeit lässt man sich von der Musik so richtig einlullen, bis man komplett von ihr gefangen ist. Es wurde immer besser, dann war’s schon vorbei.
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