Am Wochenende hatte ich einen exzellenten Vorwand, um mal wieder einen Abstecher in meine geliebte Bundeshauptstadt zu machen (nicht, dass ich dafür unbedingt einen bräuchte).
MotorFM, musikalisch gesehen der beste deutsche Radiosender, den ich kenne, lud zu einem kleinen sommerlichen Open Air Festival in historischer Kulisse: Motor im Grünen in der Zitadelle Spandau. Das konnte und wollte ich mir nicht entgehen lassen.
Wir kamen am späten Nachmittag bei der Zitadelle an, um festuzustellen, dass der ausklingende Auftritt der walisischen Band The Guns (beschreiben ihre Musik als Indie/Punk/2 Step-Rock) nicht der Rede wert war. Es folgte eine kleine Enttäuschung, denn der der nächste Programmpunkt, die Fotos, konnten nicht auf der Bühne erscheinen, da sie auf der Autobahn im Stau standen.
So durften wir gleich dem Auftritt des nächsten Künstlers beiwohnen, I am X, in Elektro-Kreisen wohl eine fest Größe, wie man liest. Irgendwie passte das nicht unbedingt so ganz in das restliche Programm, dass sehr indielastig war. Auch wenn es ein paar ganz nette Elemente gibt, ist diese sehr beatbetonte Elektromukke einfach nicht so meins. Die Bühnendarbietung des Chris Corner mit seiner Band war jedoch recht unterhaltsam, erinnerte in ihrem Kitsch und ihrer Albernheit ein wenig an die Techno-Hochzeiten der 1990er. Das fand sich vereinzelt auch im Publikum wieder.
Als nächstes standen Polarkreis 18 auf der Bühne, die kurz vor der Veröffentlichung ihres von Kritikern und Fans gespannt erwarteten zweiten Albums im Oktober, bei Motor im Grünen vorbeischauten. Die sechs jungen Dresdner, deren sphärisch tragender Rock sich live sehr gut macht, gaben jedoch nur einen sehr kleinen Einblick in ihr bevorstehendes Werk. Außer einem neuen Song wurden im leider sehr kurzen Auftritt die bekannten Stücke des Debütalbums dargeboten. Da mein Lieblingslied „Comes Around“ gespielt wurde, war ich jedoch zufrieden.
Die folgende Pause reichte nicht einmal zur Überbrückung der Schlange am Pommes-Stand, dann mussten wir schnell wieder vor die Bühne, denn nun war der erste Highlight dieses Tages dran, die Dirty Pretty Things. Diese können nicht erklärt werden, ohne dass der Name einer der absoluten Lieblingsskandalnudeln unserer Zeit genannt wird, Pete Doherty. Bevor dieser durch seine Sauf- und Drogenexzesse die weltweite Klatschpresse auf sich aufmerksam machte, war er gemeinsam mit Carl Barât der kreative Kopf von The Libertines, sicherlich eine der bedeutendsten Indierockbands der beginnenden 00er Jahre. Nach der Trennung der Libertines gründete Herr Doherty die Babyshambles und ist seither leider weniger durch sein noch immer exzellentes kreatives Schaffen der breiten Öffentlichkeit bekannt (von dem der Großteil vermutlich noch nie auch nur ein Lied einer dieser Bands gehört hat), sondern eher deshalb, weil der Boulevard darauf wartet, dass er eines Tages von einer Überdosis stirbt, am besten in den Armen seiner Ex-Freundin Kate Moss oder der anderen Skandalnudel Nummer eins, Amy Winehouse.
Musikalisch stehen die Dirty Pretty Things den Babyshambles kein bisschen nach, nur schenkt man ihnen in Abwesenheit eines skandalträchtigen Frontmannes weniger Aufmerksamkeit. Wie sich nun herausstellt, repräsentieren die Dirty Pretty Things die rockigere Seite der Libertines (auch der Schlagzeuger war bei letzteren Mitglied), ihre Musik versprüht jedoch die selbe Schnoderrigkeit wie diejenige der beiden anderen Bands. Wunderbar, ich war begeistert. Zudem konnte auf der Bühne ein lustiger Kontrast beobachtet werden: Die drei Herren an den Saiteninstrumenten vorne auf der Bühne konnten dem Klischee des englischen Indie-Rockers kaum besser entsprechen (käsebleich, spindeldürr, Röhrenjeans, Haare im Gesicht). Der Schlagzeuger Gary Powell dagegen: schwarze Hautfarbe (das ist in Indiebereich selten genug, um unterstrichen zu werden), ein Muskelpaket, der mit nacktem Oberkörper und Drei-Streifen-Hosen schwitzend hinter seinem Drumset schuftet. Das hat Spaß gemacht.
Den Abschluss und emotionalen Höhepunkt des Abends setzten die Editors, ebenfalls eine Band von der Insel. Ich bezeichne sie gerne als Interpol für arme, was ihnen zwar ein wenig unrecht tut aber der Tatsache geschuldet ist, dass der Gesang von Tom Smith einfach sehr demjenigen des Interpol Frontmannes Paul Banks ähnelt und auch die Musik ähnlich Referenzen an Joy Division vorweist. Die Editors sind jedoch weniger düster, dafür aber ein wenig pathetischer als Interpol, zudem kommen sie in ihrer musikalischen Qualität einfach nicht ganz an die New Yorker heran. Trotzdem begeistern ihre Stücke auf der Bühne das inzwischen zahlreiche Publikum, das augenscheinlich vor allem wegen dieser Band zur Zitadelle Spandau gekommen war. Die Musik, zusammen mit den Lichteffekten und der durchaus ansehnlichen Bühnenpräsenz des Sängers, macht gut Eindruck. Die im Publikum gut bekannte Ohrwürmer waren alle dabei, so waren wir begeistert. Der Abend fand seinen Abschluss bei der Aftershowparty in der Feste Königin, einem der vier offenen Ecktürme der Zitadelle, bevor wir dann die lange U-Bahn-Fahrt mit der U7 Richtung Neukölln antreten mussten.